Innere und Äußere Friedenskultur:
Die Welt zum Wohl der Menschheit transformieren

Internationale Konferenz für Friedenskultur
König Juan Carlos Universität Madrid, Spanien, 11.-13. Dezember 2000
Vortrag gehalten durch Seine Heiligkeit Lama Gangchen

Thangkas

Exzellenzen, Damen und Herren:

Lassen Sie uns „Frieden” zuerst durch eine Schweigeminute anrufen.
Lassen Sie uns diesen Moment der Stille nutzen, um uns mit dem tiefsten Gehalt des Friedens zu verbinden: unserem eigenen Inneren Frieden.

–Stille–

Meine Freunde:

Das Große Paradox

Das größte Paradox, dessen sich die Menscheit heute gegenübersieht – und diese Zusammenkunft insbesondere – ist der Fakt, dass wir hier sind um „die Kultur des Friedens” zu fördern, während wir zur selben Zeit große Kriege und Konflikte in der heutigen Welt erleben. Denken Sie nur an Afrika und den Mittleren Osten.

Ich sehe mich selbst an diesem runden Tisch, umgeben von Seelen die „konvertiert” sind, die nach Frieden suchen oder die die wirkliche Bedeutung einer friedvollen Welt im Gegensatz zu einer Welt im Konfliktzustand verstehen. Es scheint, dass die Wahl, die sich uns bietet, eine einfache ist: wir alle möchten im Frieden und in Frieden leben.

Ja, alle von uns gehören diesem Club an, der diejenigen vereint, die schon konvertiert sind. Mit Ihrer Erlaubnis würde ich gern die Gelegenheit nutzen und meine Vermittlerrolle als Methode und Kanal anbieten, um all die Folgenden zu erreichen:

Ich möchte jene Millionen Kinder erreichen, die heute im Gefecht sind, und die wegen des Todes ihrer Eltern zu Familienoberhäuptern wurden. Ich möchte jene Unschuldigen erreichen, die als Zivilopfer in so vielen Konflikten dieser Welt untergegangen sind.

Ich möchte zu jenen sprechen, die am Verhandlungstisch die „Hauptrolle spielen”, um den Krieg zu gewinnen, statt dauerhaften Frieden zu schaffen.

Sie sind nicht hier, obwohl sie hier sein und ihr persönliches Zeugnis teilen sollten. Jedoch wissen wir alle, dass sie entweder die Architekten von Konflikt und Krieg, oder offensichtlich Opfer von großer Vernichtung sind. Schlicht gesagt, sind sie genau jetzt irgendwo anders auf dieser Welt im Krieg. Sie sind diejenigen, die unsere Friedensenergie brauchen, unsere Friedensherzen und unsere Friedensseelen.

Die Kultur des Friedens

Die Kultur des Friedens, wenn jemals in die Praxis umgesetzt, ist das revolutionärste Paradigma [Denkmuster], das die Menschheit je zum Thema eines jeden einzelnen Haushalts in der Welt gemacht hat.

Ein Paradigma, das die Reichen und die Armen berührt, den Norden und den Süden, die entwickelten und die Entwicklungsländer, alle verschiedenen Rassen und Gemeinschaften auf der Welt, Regierungen, Privatbereiche, nicht-staatliche Organisationen [NGOs] und so weiter. Der Schlüssel zu dieser Revolution ist eine grundlegende Änderung des existierenden Wertesystems, das so sehr durch Wirtschaft, maßlosen Konsum, Ausschluß und Ausgrenzung dominiert wird. All dies ereignet sich in einer Welt, die so rasant globalisiert und die zusieht, wie Armut in noch größerer Geschwindigkeit anwächst.

Die Friedenskultur ist kein Titel oder eine andere theoretische Behauptung, sondern ein vollkommen neuer Weg, auf diesem Planeten zu leben. Einem Planeten der kleiner und kleiner wird, weil Milliarden Menschen nach Koexistenz und Verbesserung suchen.

Die Friedenskultur ist und sollte die Grundlage aller Dinge sein, die wir tun. Von Ökonomie und Finanzwesen zu Gleichberechtigung und zur akzeptablen Verteilunsform von Kapital und Produktionsmitteln. Von den sozialen Zwängen unserer Gesellschaften zu kultureller und institutioneller Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit. Von menschlichen Dimensionen des Voranstrebens und der Abwechslung, hin zu moralischen und ethischen Dimensionen des Lebens und unserer menschlichen Existenz.

Es ist die Friedenskultur, die die Hauptbauteile zum Schließen der Lücke liefert, die in der heute praktizierten Auffassung ökonomischer Entwicklung innerhalb eines großen ethischen und moralischen Vakuums klafft. Jedoch scheint es, sind wir weit davon entfernt, diese Friedenskultur anzunehmen. Es scheint, wir reden lieber darüber, anstatt die wirklich transformierenden Instrumente und Handlungen zu identifizieren, die die Änderungen, nach denen wir suchen, tatsächlich bewirken werden.

Drei grundlegende Schritte

Der Weg voraus bedarf dreier grundlegender Schritte.

Der erste grundlegende Schritt ist die grundsätzliche Unterscheidung zwischen äußerem und innerem Frieden.

Was Menschheit und Herrschende tun, um einen akzeptablen Grad an Frieden zu schaffen, ist meist das Greifen nach Elementen äußeren Friedens. Danach, was wie eine Welt ohne Konflikt aussieht. Physischer Konflikt, muss ich hinzufügen. Jedoch ist die Abwesenheit von Konflikt NICHT gleichbedeutend mit einem Zustand des Friedens. Mangel an physischem Konflikt ist eben lediglich „der Mangel an physischem Konflikt”.

Und indem wir so handeln, nutzen wir raffiniertere Waffen der Massenvernichtung; auf diese Weise gibt es einige, die andere neutralisieren, weil diese bereit sind, mehr Konflikt zu erzeugen. Dies geschieht innerhalb von Ländern, zwischen Ländern und überall auf der Welt. Somit, anstatt auf Verbrechen zu achten, bilden wir mehr Polizeikräfte aus, bauen den Platz in den Gefängnissen aus, so dass wir mehr und mehr Menschen in diesen Einrichtungen halten können; wir erzeugen einen Industriezweig für Alarmanlagen, der mittlerweile die Milliarden-Dollargrenze überschreitet, ..., all das im Namen äußeren Friedens. All das, um eine Welt ohne ersichtliche Konflikte instand zu halten.

Wir sind selten jenseits des Managements physischer Konflikte gegangen, ganz abgesehen von dem Fakt, dass wir wissen, dass es so viele andere Formen von Konflikt gibt. Diese verbleiben völlig unberücksichtigt. Selbstverständlich liegt der Schadensverlauf klar auf der Hand: sehr hohe Selbstmord-Raten unter Jugendlichen, zunehmender Handel und Prostitution junger Mädchen, Handel von hochgradig illegalen Drogen, und so weiter.

Andererseits ist Frieden ein Bewusstseinszustand. Ein innerer Zustand eines jeden von uns, mit individuellem und sozialem Bedeutungsumfang. Schlicht gesagt: Wir können Frieden nicht kaufen. Es gibt keine Supermärkte für Frieden. Es gibt keinen Grad materiellen Reichtums, der fähig sein wird, dauerhaften Frieden zu kaufen. Weder für eine Person, noch für eine Nation.

Deshalb, wenn es einen Fortschritt in der Praxis und Materialisation einer Friedenskultur geben soll, müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf seine inneren Werte, seine inneren Dimensionen und seine inneren Wirklichkeiten lenken, statt auf seine äußeren Bestandteile. Diese Herangehensweise wird einen anderen Diskurs erfordern, eine andere Einstellung, ein anderes Erziehungswesen, einen anderen Weg, dem Leben in all seinen Dimeinsionen auf diesem Planeten zu begegnen.

Der zweite grundlegende Schritt ist, die Bedeutung dessen zu erkennen, was ich den „Präsenzfaktor” nenne.

Viele unserer Meetings und viele unserer Institutionen sind mit Menschen gefüllt, die für Frieden werben und eintreten, die jedoch in sich selbst nicht im Frieden sind. Viele Menschen haben den Zustand Inneren Friedens nie selbst erfahren. Solange man diese Erfahrung nicht gemacht hat, tendiert alles dazu, abstrakt und theoretisch zu bleiben. Wir können etwas, wovon wir nicht wissen, was es ist, schlichtweg nicht vorantreiben.

Wie können wir denen, die nicht in Frieden mit sich selbst sind, erlauben, an einem Tisch zu sitzen, um einen Friedensvertrag auszuhandeln? Wie können wir Architekten, die in tiefem inneren Konflikt sind, anvertrauen, eine Welt des Friedens zu konstruieren? Das ist eine Gesetzmäßigkeit, die wir verstehen, und nach deren Verständnis wir in den nächsten Jahren trachten müssen. Dies ist besonders bei Kindern der Fall, die durch Medien, Filme und Spielzeug zu töten gelernt haben. Unsere Kinder wurden trainiert, das Leben eines anderen Menschen zu nehmen.

Ja, die zukünfigen Oberhäupter der Welt, die heute hätten hier sein sollen, können möglicherweise zu den effektivsten Zerstörungsapparaten werden. Das ist schlicht unakzeptabel. Der Präsenzfaktor betrifft auch unsere Lehrer, unsere politischen und spirituellen Führer, und jeden, der eine einflussreiche Position innehat.

Wir müssen massive Schritte unternehmen, um den Frieden derjenigen zu fördern und zu unterstützen, die Entscheidungen fällen, die jeden und alle von uns betreffen. Wir müssen den Entscheidungsträgern näher kommen. Wir müssen ihnen mit großem Respekt und Mitgefühl begegnen, jedoch mit der festen und unmissverständlichen Botschaft, dass Frieden das Objekt ist, und nicht einfach die Eliminierung von Konflikt.

Der dritte grundlegende Schritt heißt, zu handeln beginnen. Frieden muss ein innewohnender Bestandteil all unserer Handlungen sein. Wir müssen Frieden in uns selbst und zwischen uns haben. Wir müssen mit allen Elementen und Bestandteilen der Natur im Frieden sein. Wir müssen Frieden in jeder Institution und Organisation haben, sowohl als Zusammenhaltskraft, als auch als Leistungsfaktor. Wir müssen im Frieden mit allen Religionen sein, mit allen Volksgruppen und sämtlichen denkbaren Interessen-Gemeinschaften.

Dies ist ein Schritt, mit dem wir uns alle einverstanden fühlen, obwohl es nachgewiesenermaßen der am schwersten in die Praxis umsetzbare ist.

Frieden in Aktion bedeutet Frieden in jedem Schritt auf dem Weg unserer Existenz. Friedvolle Gedanken. Friedvolle Handlungen. Friedvolle Ziele und Verpflichtungen. Friedvolle Mittel und Wege. Friedvolle Arten des Austauschs. Friedvolle Politik. Friedvolle Geschäfte und Unternehmen. Und so weiter.

Unsere gemeinsame Verpflichtung

Meine Freunde:

Das kann nicht einfach nur irgendeine weitere Konferenz sein. Das kann nicht einfach nur ein weiteres selbstbeweihräucherndes Ereignis sein. Das kann kein Ort für Vorträge ohne transformierende Auswirkungen sein. Kein Meeting, dass im Protokollbuch von Geschichtsschreibern verbleibt, damit man später herausfinden kann, ob es stattgefunden hat.

Dieses Meeting muss der Beginn einer massiven gemeinsamen Bemühung sein, diese Welt in eine Welt des Friedens umzuwandeln, ein für allemal.
Meine persönliche Verpflichtung ist es, aus dieser Tür hinauszugehen, mit meinem Herz und meiner Seele voll friedvollen Lichts und jener Art friedvoller Energie, die fähig sein wird, jeden den ich sehe, jeden den ich berühre und jeden an den ich denke, zu verwandeln.
Meine persönliche Verpflichtung ist es, diesen Raum zu verlassen jene Stufe der Aufmerksamkeit zu erzeugen, die dieses Problem nötig hat, bevor mehr Menschen auf den Straßen so vieler Städte dieser Welt getötet werden.
Meine persönliche Verpflichtung ist es, jene zu heilen, die durch Krieg und Konflikt betroffen waren und deren Verletzungen weit über die des physischen Körpers hinausreichen.

Aber was ist unsere gemeinsame Verpflichtung?
Welche Aktionen planen wir hier und jetzt, so dass die Auswirkung unserer Existenz jeden Flecken der Welt berührt? Diesbezüglich möchte ich gern nur eine einzige Idee einbringen: Die Öffnung internationaler bilateraler oder multilateraler Dialoge – allenorts – hin zu Beratungen, die die menschlichen, spirituellen, kulturellen, ethischen und moralischen Werte berücksichtigen.

Wir sind mit dem Vorantreiben materiellen Wohlergehens zu weit gegangen. Es ist an der Zeit, inneres [spirituelles] Wohlergehen voranzutreiben. Praktisch ausgedrückt, habe ich dieser Idee einen Namen gegeben: „Schaffung eines Spirituellen Forums in jeder Instanz zur Gestaltung unseres Zusammenlebens”. Das ist praktisch und machbar, wenn wir uns in der Bewegung tranformierenden Wandels befinden, und falls wir weit mehr erreichen möchten, als politische oder sinnbildliche Deklarationen.

Lassen Sie uns für Frieden aufstehen.
Wir haben wirklich die Wahl.

Vielen Dank.

T.Y.S. Lama Gangchen

Quelle: T.Y.S. Lama Gangchen en „The Inner and the Outer Culture of Peace: Transforming the world for the betterment of humanity”
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